Gessen, ein Dorf das dem Uranerzbergbau weichen musste

Info Tafel
Gessenmühle

Die so verlorenen Vorräte sollten daher im Tagebau gewonnen werden. Die Brände in den Bergwerken mussten aber gelöscht werden und man verschlämmte sie mit einer Lehm-Sand-Trübe, Pulpe genannt, für die riesige Mengen Lehm benötigt wurden. Gessen stand auf einer Lehmlagerstätte, es dauerte nicht lange und es kam zum Abbau des Lehms – zunächst nur rings um den Ort.

Gessen war ein kleiner Ort, der im 14. Jahrhundert in einem Nebental der Weißen Elster, das von ihm den Namen erhielt, entstanden war. Er hatte sich in seiner Größe in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kaum verändert. Die im Jahre 1905 genannten 16 Häuser mit 88 Einwohnern waren bis 1948 nur um zwei gewachsen, obwohl die Einwohnerzahl durch die Nachwirkungen des zweiten Weltkrieges auf 164 gestiegen war und die Zahl der Haushaltungen sich verdoppelt hatte. Während die Nachbarorte Schmirchau und Lichtenberg vom Uranerzbergbau der SAG Wismut seit seinem Beginn im Ostthüringer Raum im Jahre 1950 sofort in Mitleidenschaft gezogen wurden und geräumt werden mussten, war Gessen eine Räumung zunächst erspart geblieben. Die Bergwerke Schmirchau und Lichtenberg waren zwar 1951 unweit von Gessen entstanden, schienen aber den Ort nicht weiter zu gefährden. 

Trotzdem wurde das Leben im Dorfe stark beeinträchtigt, denn immer höher wuchs die Nordhalde des 1956 begonnenen Tagebaus, der den Namen „Phillip Müller“ bekam, aber besser unter der Bezeichnung Tagebau Lichtenberg bekannt wurde. Gessen lag gewissermaßen im Schatten der Halde. In den Bergwerken waren durch Selbstentzündung Brände entstanden, die zur Einstellung der untertägigen Abbauarbeiten in Teilen der Lagerstätte zwangen.  

Alte Postkarte
Restaurant zum Gessenthal

Lehmtagebau Gessen

Die Tagebaue zur Sand und Lehmgewinnung dienten bei den untertägigen Verschlämmungs- und Versatzprozessen zur Bereitstellung der Zuschlagstoffe. Die anfangs geringen Umfänge wurden aus kleineren Vorkommen in Schmirchau 1956, in Reust von Januar bis Juni 1957, in Trebnitz von 1957 bis 1958 und am Schacht 369 von 1958 bis April 1960 gewonnen.

Seit September 1961 erfolgte die Lehmgewinnung aus dem ergiebigen Vorkommen Gessen in den Tagebauen Gessen-Ost, Gessen-West, Gessen-Nord und GessenSüd rund um den Ort und nach dem Abriss der Reste des Dorfes Gessen auch aus den dort anstehenden Vorräten bis zum Abbauende im August 1964. Im gesamten Vorkommen Gessen stand jungdiluvialer Lehm mit eingelagerten Kies und Geröllschichten in einer Mächtigkeit von 1–17m an. Der Sandgehalt im Anstehenden betrug 20–50 %. Die Gewinnung erfolgte in zwei Scheiben, Höhe der 1. Scheibe: 7 m. Zur Erhöhung des Sandgehaltes im Lehm wurde bei Bedarf Sand aus dem Sandtagebau Lichtenberg bis zu 1,0 m Höhe auf die Strosse des Lehmtagebaus aufgekippt. Das diente gleichzeitig zur Stabilisierung der Baggerorte sowie der Fahrbahnen und bewährte sich besonders in Schlechtwetterperioden. Zur Lehmgewinnung waren diesel- oder elektrisch angetriebene Löffelbagger mit 1 m³ Löffelinhalt eingesetzt. Planierraupen beseitigten die geringmächtige Mutterbodenüberdeckung und dienten zur Unterhaltung der Baggerorte und Fahrbahnen. Der Transport erfolgte mit LKW-Kippern. Zum Einsatz kamen in der zeitlichen Reihenfolge die Typen SIS, H 6 und Kras. Als Fahrbahn wurden so genannte „Rollbahnen“ auf dem Feld oder auf der Halde angelegt sowie Schachtstraßen, aber auch öffentliche Straßen genutzt.

Die Arbeiten erfolgten in zwei Schichten. Die dritte Schicht (Nachtschicht) konnte wegen der unmittelbaren Ortsnähe der Gewinnungsarbeiten und des Transports des Lehms durch den Ort nicht belegt werden. Der Lehm wurde in den Lehmwerken der Bergwerke zu einer Trübe verarbeitet, die über Rohrleitungen nach Untertage transportiert und dort zur Verschlämmung der Brandorte eingesetzt wurde. Nachdem in den Bergwerken neue Abbauverfahren eingeführt wurden, konnte die Lehmgewinnung in der Lagerstätte Gessen eingestellt werden. Insgesamt wurden 1.616.201 m³ Lehm abgebaut.

Rollbahnbau

Lehmtagebau und Lehmwerke

Lehmgewinnung

Lehmgewinnung

Die Nordhalde des Tagebaus Lichtenberg droht den Ort Gessen zu verschütten

Die Nordhalde lag am Rande des Tagebaus Lichtenberg zwischen ca. 270 m NN bis 290 m NN und fiel in Richtung Gessenbach und Badergraben auf eine Höhe von ca. 245 m NN ab. Sie besaß in Nordost-Südwest-Richtung eine maximale Ausdehnung von 1.400 m und in Nordwest-Südost-Richtung von 700 m. Von 1962 bis 1972 wurden 27,2 Mio. m³ Abraum abgelagert. In die Halde wurde im Wesentlichen der Abraum aus dem Deckgebirge des Tagebaus verkippt. Die Aufstandsfläche der Nordhalde bestand im tiefen Untergrund aus devonischen Tonschiefern sehr großer Mächtigkeit, die in einigen Bereichen kaum Verwitterungserscheinungen aufweisen, in anderen Bereichen oft tiefgehend verwittert sind. Über diesen stark verwitterten Tonschiefern befindet sich in einer Stärke von etwa 1–3 m Ton bzw. Lehm, der von ca. 0,2 m Humusboden überlagert wird. Vermutlich wurde damals nur der Kulturboden der Aufstandsfläche des Erweiterungsteiles der Nordhalde abgetragen.

Die Auffahrung der Nordhalde erfolgte in zwei Etappen ausschließlich im LkwBetrieb. In der 1. Auffahrungsetappe wurde bis 1966 „brandfreudiges“ Material, aus der alten Nordhalde stammend, mit verkippt. In dieser Zeit bildeten sich zeitweise lokale Brandherde.

Der vor 1966 gekippte Teil der Nordhalde wurde ohne Vorfeldberäumung und ohne Standsicherheitsberechnung südlich des Badergrabens und südlich der ehemaligen Reichsbahnstrecke Gera - Ronneburg angelegt. Die Haldenböschung fiel gleichsinnig mit dem Gelände ein, wobei sich im pleistozänen Untergrund Schwächezonen befanden.

Sofortmaßnahmen waren:

- Räumung aller gefährdeten Gebäude von Gessen und Unterbringung der Ein- wohner;

- Umlegung der Straße;

− ständige Nivellements längs der Bahnlinie und im Vorfeld der Halde. Die endgültige Sanierung erfolgte 1969 bis 1970, als mit Abraum aus dem neuen Tagebau die Etagen 270, 285 und 300 m NN im Gebiet der Rutschung erweitert wurden, wodurch eine annähernd horizontale Auflage der Halde sowie eine Reduzierung der Generalneigung erreicht wurde. Visuelle und markscheiderische Kontrollen ergaben keine Bewegungen mehr.

Nach Unterlagen der Wismut geriet das gesamte nördliche und nordwestliche Böschungssystem am 20.10.1966 in Bewegung. Auf einer streichenden Länge von 650 m bei einer Gesamthöhe von 70 m rutschten innerhalb von 20 Minuten über 3 Mio. m³. Dabei wurden die Ortsverbindungsstraße Ronneburg-Gessen, mehrere Gebäude sowie der Friedhof in Gessen betroffen. Der Eisenbahnverkehr Gera-Ronneburg konnte ohne Einschränkung aufrechterhalten werden. Diese Rutschung war die größte im Betriebsgelände des Tagebaus Lichtenberg.

Bei Kipparbeiten zur Sanierung der aufgetretenen Rutschung vom Oktober 1966 am Nordwestfuß der sanierten Nordhalde kam es ab September 1969 jedoch zu örtlichen Aufpressungen im Vorfeld (Bereich des Gessenbaches) bis zur Haldenetage 270. Diese Erscheinungen hatten lokale Ausdehnung. Durch Abflachen der Haldenböschung bis zur Etage 270 m NN und Entwässerung des Haldenfußes durch Anlagen von Drainagegräben wurde die Rutschung endgültig saniert. Seit 1970 waren keine Bewegungen mehr feststellbar.

Der Heimatforscher Hermann Müller beschreibt in seiner Broschüre (1)„Die Umgebung von Ronneburg“ die Katastrophe nach der Befragung von Zeitzeugen: „Die riesige Halde setzte sich am 21. Oktober 1966 um 9.00 Uhr unerwartet in Bewegung. Auf der Straße Ronneburg – Gessen zeigten sich erste Querrisse. Am folgenden Tag wurde es bedrohlicher. Mit 2 m pro Stunde schoben sich die Massen in Richtung Dorf und der Bahnstrecke Gera – Gößnitz. Am 22. drifteten die Bäume senkrecht stehend talwärts, sodass die Straße nach Ronneburg ganz gesperrt werden musste. In der Folge schoben sich die Massen bis zu ca. 800 m vom Haldenfuß Richtung Gessen vor. Das Trafohaus kam in Schräglage und der Strom fiel aus. Ein Wohnhaus war direkt und vier weitere unmittelbar bedroht. Ab 10.00 Uhr wurde geräumt. 20 Einwohner und deren bewegliche Habe wurden mit 10 LKW der Wismut evakuiert. Welche Hektik dabei geherrscht hat , darüber können nur die wenigen Alteingesessenen noch berichten.“

Haldenlaugung

In der SDAG Wismut wurden neben den konventionellen bergmännischen Abbauverfahren auch Forschungsarbeiten zur chemischen Metallgewinnung vorangetrieben. Das führte zur Entwicklung von Laugungsverfahren, bei denen auch loses Haufwerk mit einer Lauge durchströmt wurde, die das Metall aus dem Gestein löste (Haufen- und Haldenlaugung). Damit wurde die ehemalige Lehmlagerstätte Gessen wieder interessant. Der auf der Sohle des Tagebaus verbliebene Lehm war ideal für die Aufhäufung von armen Erzen, die mit Lauge berieselt werden konnten. Auf dem Untergrund konnte man die Lauge sammeln und ableiten. Das aufgeschüttete Haufwerk, das Haldengröße erreichte, wurde daher unter dem Namen Gessenhalde geführt. Die Haldenlaugung war international das erste angewandte Laugungsverfahren. In der SDAG Wismut wurde sie jedoch erst nach der Haufenlaugung erprobt und eingeführt.

Laugungsverfahren

Der anschließende Aufbau der Laugungshalde Gessen erfolgte in drei Scheiben:

Laugungshalde in der Phase der Sanierung

Die Laugung von „Abraum“, dem tauben Nebengestein einer Lagerstätte, erscheint auf den ersten Blick sinnlos. Untersuchungen ergaben aber, dass der Wertstoffgehalt in den Halden durch Vermischung, Verdünnung, unsachgemäße Gewinnung und Einbeziehung von Außerbilanzerzen so groß war, dass ihre Laugung sinnvoll erschien. Die Laugung ist dabei ein langandauernder, extensiver Prozess, der abhängig von der lithologischen Zusammensetzung des Materials mehrere Jahre dauern kann (bis über 10 Jahre). Die Gessenhalde lag im Bereich des ehemaligen Lehmtagebaus Gessen, sie war eine Produktionshalde zur Laugung hauptsächlich silikatischer Erze.

Vor der Aufhaldung wurde der Bereich des Lehmtagebaus mit einem Gefälle von Süd nach Nord profiliert. Vorausgehend wurden dafür im Südteil des ehemaligen Lehmtagebaus ca. 10.000 m³ Bauschutt aus dem Abriss der Gebäude des Dorfes Gessen und parallel zur ehemaligen Straße von Gessen nach Kauern 18.000 m³ Haldenmaterial eingesetzt.Eine 0,60 m mächtige, verdichtete Lehmschicht, die aus dem Bereich der Endkontur des Lehmtagebaus Gessen stammte, dichtete die Aufstandsfläche der Halde zum Untergrund hin ab. Diese Dichtschicht wurde mit einer 1 m mächtigen Schutzschicht (Armerz aus der ehemaligen Klassieranlage Lichtenberg, Ǿ 0,1 bis 0,3 m) überdeckt, die als Drainageschicht für die spätere Haldenlaugung wirksam wurde. Von den insgesamt 28,7 ha Aufstandsfläche der Gessenhalde lagen 17 ha der Dichtschicht direkt auf anstehendem Lehm bzw. Bauschutt und ca. 8 ha auf Haldenmaterial.

Die Laugung in der Anlage Gessen des BB Lichtenberg war als Haldenlaugung konzipiert worden. Das heißt, das Material verblieb am Ort und wurde immer wieder mit neuen Schichten überdeckt. Die Laugung erfolgte durch Aufgabe von sauren Grubenwässern (pH-Wert 2,7 - 2,8). Die metallhaltige Lösung wurde aufgefangen, in Becken gesammelt und im Kreislauf auf der Halde wieder versprüht.

Nach dem Erreichen eines festgelegten Minimalgehaltes führte man die Lösung in Sorptionskolonnen über Ionenaustauscher-Harz, das nach der Aufladung als Zwischenprodukt in das Aufbereitungswerk Seelingstädt transportiert wurde. Zur Kontrolle der Grundwasserbeeinflussung wurde unterhalb der Anlage, auf der Talsohle ein Pegelsystem installiert.

Die Anlage wurde 1972 in Betrieb genommen und Haldenlaugung von silikatischen Arm- und Außerbilanzerzen der Thüringer Bergbaubetriebe bis zur Einstellung der Uranproduktion der Wismut durchgeführt. Nach der Einstellung der Uranproduktion wurde das Material der Gessenhalde als erstes zur Verfüllung in den Tagebau Lichtenberg transportiert, um im Tiefsten des Tagebaus abgelagert zu werden. Die Aufstandsfläche der gesamten Anlage wurde saniert.